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Dreistellig. Im ersten Jahr nach der Diagnose zählt man / zähle ich ja noch die Tage seit der Diagnose. Ich mag Statistiken, so what.

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Kaum zu glauben, und ich erinnere mich an den Tag noch, als wäre es gestern. Egal, die Story zur Diagnose könnt ihr hier nachlesen. Aber was hat sich seitdem alles getan! Der Diabetes ist zur Routine geworden. Morgens aufstehen, BZ messen, Basal spritzen. Merkt ihr? Begriffe, die mir vor 101 Tagen teilweise völlig unbekannt waren. Ihr wollt mehr? HbA1c, Bolus, Hypo, Langerhanssche Inseln, CGM, bitteschön. Eine völlig neue Welt hat sich da für mich aufgetan. Aber ich betrachte das einfach positiv. Ich habe 8 Kg abgenommen, die fehlen jetzt immer noch, und ehrlich gesagt weine ich denen auch nicht hinterher. Ich bin quasi zum Ernährungsexperten geworden. Ich habe wunderbare Unterstützung in der Familie, von Freunden und im Studium erhalten. Ich habe eine tolle Diabetespraxis gefunden, bei der ich mich bestens aufgehoben fühle. Ich habe neue Freunde gefunden, und festgestellt, dass die Diabetescommunity im Netz total super ist. Jeden Mittwoch freue ich mich auf den #dedoc, das kann ich jedem Typ 1er nur empfehlen. Und ich habe diesen Blog geschaffen. Es hilft, sich manches von der Seele zu schreiben, und es bereitet mir Spaß, das hier mit Leben zu füllen.

So, den nächsten sentimentalen Rückblick gibt’s dann wahrscheinlich zum ersten Geburtstag des DM. (und zack, noch so ne neue Abkürzung eingeschoben, die bei mir vor 101 Tagen in diesem Zusammenhang noch kein Begriff war).

Fünf Komma Acht

Ja! Der gestern gemessene HbA1c liegt bei 5,8%! Das hätte ich nicht für möglich gehalten, und das war auch überhaupt nicht mein Ziel. Aber genau das wurde bei der Routineuntersuchung festgestellt. Vor zwei Monaten lag dieser Wert noch bei 7,6%, das war zwei Wochen nach der Diagnose (8,4%).

Was bedeutet dies? Der HbA1c wird streng genommen auch als Langzeit-Blutzucker, oder das Blutzuckergedächtnis bezeichnet. Meine Diabetologin erklärte mir, dass er davon abhängt, wieviel „Zucker“ sich an die roten Blutkörperchen geheftet hat. Da diese eine Lebensdauer von 8-12 Wochen haben, kann aus dem Wert eben der Langzeit-Zucker bestimmt werden. Je höher im Schnitt die Blutzuckerwerte der letzten Wochen waren, desto höher ist eben auch die HbA1c.

Der HbA1c wird einmal im Quartal gemessen. Beim gesunden Menschen liegt er im Schnitt zwischen 4-6%, wir Diabetiker streben in jedem Falle einen Wert unter 7-8% an. Da es eben ein Durchschnittswert ist, kann man ungefähre Erwartungen anstellen. Der Wert von 5,8% sagt in meinem Falle aus, dass mein durchschnittlicher Zuckerwert in den letzten Wochen unter 110 mg/dl lag. Stimmt das? Denn egal, wie viele Messungen ich am Tag mache, es sind ja immer nur Stichproben. Eine einzelne Messung zeigt mir zum Beispiel nicht an, ob ich einen Trend nach oben oder unten habe. In den ersten zwei Stunden nach einer Hauptmahlzeit soll ich auch gar nicht messen, da der Wert dann immer/meistens erhöht ist (es sei denn, ich muss Auto fahren). Ein durchschnittlicher Zuckerwert von 110 mg/dl bedeutet also auch, dass ich häufiger deutlich darunter gelegen haben muss. Mit ein Grund, warum HbA1c Werte von unter 6% von meiner Diabetologin auch gar nicht so gerne gesehen sind (Ausnahme: Schwangerschaft). In meinem Falle kommt es sogar hin. Zur Zeit befinde ich mich eindeutig in der Remissionsphase, weshalb ich eine Weile tatsächlich stärker mit Unterzuckerungen (d.h. bei mir Werte zwischen 50 und 70 mg/dl, darunter war ich noch nicht) zu kämpfen hatte. Entsprechend musste ich mit den Bolusfaktoren und der Basalmenge auch immer weiter heruntergehen, und soll zur Zeit auch wieder eine Messung in der Nacht durchführen.

Dass der HbA1c nun auch nicht alles ist, und die Werte durchaus auch von der Theorie abweichen können, das beschreibt Ilka in diesem interessanten Blogeintrag sehr gut. Ein guter Anhaltspunkt ist er aber dennoch. Mir sagt der Wert von 8,44%, den ich bei der Diagnose hatte, dass mein Diabetes wirklich quasi von heute auf morgen ausgebrochen ist, und zeitig korrekt diagnostiziert und behandelt wurde.

Ich kann mir aber sehr gut vorstellen, dass der Fokus auf den HbA1c im Laufe meiner Diabetes-Karriere immer mehr zugunsten der nackten BLutzuckerwerte abgelöst wird. Darum suche ich auch weiter nach optimalen digitalen Tagebüchern samt aussagekräftigen Statistiken. Standardabweichungen etc. – wer da Tipps hat, bitte immer her damit! Insbesondere als Mac-User ist da die Auswahl schon eingeschränkt. Mit einer reinen Tabellenkalkulation möchte ich nicht anfangen – das ist einfach zu zeitaufwändig, da ich abends immer die Tageswerte nachtragen müsste, auch wenn ich hier die besten individuellen Statistiken berechnen könnte.

Honeymoon

Viele (Alle?) Typ 1 Diabetiker fallen über kurz oder lang nach der Diagnose und Insulinbehandlung in die sogenannte Remissionsphase. Im englischen Sprachgebrauch wird diese auch als Honeymoon-period bezeichnet, was irgendwie einen witzig-makaberen Touch hat. Die Remissionsphase bedeutet einfach dargestellt, dass sich die Bauchspeicheldrüse noch einmal aufbäumt und mehr Insulin produziert. Aufhalten lässt sich der Prozess, dass der Körper weiterhin die Betazellen zerstört, jedoch weiterhin nicht.

In diese Remissionsphase scheine ich nun gerade voll reinzulaufen. Seit etwa zwei Wochen ist mein Insulinbedarf rapide in den Keller gegangen. Sowohl morgens als auch abends ist mein Insulinfaktor von ursprünglich 3 (bzw. 2) auf eine Einheit Insulin pro Broteinheit reduziert worden, und auch meine Dosis Basalinsulin ist deutlich kleiner als zu Beginn. Ich messe häufiger als noch vor zwei Wochen, weil ich sehr oft Werte unter 80 mg/dl habe, und runde BE-Abschätzungen eher ab als auf.

Wie lange diese Phase anhält? Da bin ich gespannt. In der Literatur ist oft von 1-6 Monaten die Rede, in Foren sind einige der Meinung, diese Phase könnte auch Jahre anhalten und durch Ernährung positiv beeinflusst werden. Je älter die Person zum Zeitpunkt der Diagnose war, desto länger soll auch die Remission dauern. Auch bin ich gespannt, was passiert, wenn die Phase zu Ende geht. Steigt mein Insulinbedarf plötzlich oder eher langsam wieder an? Ist er danach höher als vorher?

Ich halte meine Blutzuckermessstreifen jedenfalls bereit.

Diagnose

Es ging so schnell. Am Montag flog meine Freundin für einen Monat nach Neuseeland. Mir ging es gut. Aber bereits am Mittwoch merkte ich, dass irgend etwas nicht stimmte. Ich fing an, viel zu trinken, weil ich einen wahnsinnigen Durst verspürte. Es war auch ein ungewöhnlicher Durst – ich habe keinen trockenen Mundraum verspürt, sondern brauchte das Gefühl von prickelnder Kohlensäure im Rachen. Ich habe alles getrunken, was ich im Haus hatte – Wasser, einen ganzen Liter Milch in wenigen Minuten, Säfte, Cola, sogar Orangen habe ich mir ausgepresst. In dieser Zeit ging auch mein Kreislauf in den Keller. Ich ging viel und lange draußen spazieren, weil ich dachte, dass ich vielleicht frische Luft bräuchte. Bekomme ich eine Grippe? Lieber noch mehr Vitamine zu mir nehmen.

Am Freitag dann wurde es schlimmer: Ich konnte mich nicht mehr konzentrieren, musste viel schlafen, war total lustlos. Und ich konnte nicht mehr richtig sehen. Ich bin ja ohnehin schon stark kurzsichtig und trage Zeit meines Lebens bereits eine Brille, aber auf einmal konnte ich Gegenstände in größerer Entfernung als 2m nicht mehr scharf sehen. Ich bekam Angst.

Ob die Symptome stressbedingt waren? Solche Fragen fängt man an, sich in solchen Situationen zu stellen. Und weit hergeholt war das nun nicht, da ich ja am Lernen war. In 10 Tagen stand meine letzte Diplomprüfung an. Doch am Samstag ging nichts mehr, ich war nur noch am Vegetieren und dachte, ich müsste bald zusammenbrechen. Ich rief meine Mutter an und informierte sie, dass ich heute noch zum Arzt gehen wollte. Sie kam dann sogar vorbei und begleitete mich. Da Samstag war und alle Arztpraxen natürlich geschlossen waren, gingen wir zur Notfallpraxis der Kieler Ärzte im Städtischen Krankenhaus. Ich wohne nur 5 Minuten Fußweg entfernt, da war das natürlich das naheliegendste.

Der Wartebereich dort war überfüllt mit Kindern, und ich befürchtete schon stundenlange Wartezeit. Doch der Kinderarzt teilt sich mit dem Notfallarzt nur die Anmeldung, so dass ich auch schon nach wenigen Minuten hineingerufen wurde. Der Arzt veranlasste sofort eine Blutzuckermessung, nachdem ich ihm meine Symptome beschrieben hatte, und auch eine Urinprobe musste ich abgeben. Ergebnis: Mein Blutzucker war dermaßen hoch, dass das Messgerät ihn nicht mehr anzeigen konnte (Hi), also wurde noch eine Blutprobe ins Labor geschickt. Ich bekam eine Überweisung in die Klinik, die ich sofort aufsuchen sollte. Glück im Unglück: Das Städtische Krankenhaus hat eine Diabetologische Schwerpunktstation, so dass ich gleich dort bleiben konnte. Mein Blutzucker betrug über 600 mg/dl. Die Ärztin gab mir eine Infusion und eine ordentliche Dosis Insulin, und ich bekam die vorläufige Diagnose vom Diabetes Typ 1. Eine Krankheit, die mich von nun an mein Leben lang begleiten würde.

Ich nahm es gefasst auf. Von Natur aus bin ich niemand, der wegen Aufregung an die Decke geht, aber wie gelassen ich in dem Moment war, finde ich immer noch bemerkenswert. Was das bedeuten würde, das war mir natürlich noch nicht ganz klar, aber das Ausmaß wurde mir noch am selben Tage bewusst. Mehrmals am Tag Insulin spritzen, mehrmals am Tag den Blutzucker messen, die Kohlenhydrate abschätzen und immer Traubenzucker dabei haben – Diabetes Typ 1 in einem Satz zusammenzufassen ist völlig unmöglich. Ich möchte lernen, mit dieser Krankheit umzugehen (nein – ich muss es sogar), ich möchte sie kennenlernen, Ursachen erfahren, Hoffnung gewinnen. Es ist alles so neu, darum habe ich angefangen, alles aufzuschreiben.

Man bereitete mich schon darauf vor, dass ich bis Montag auf dem Flur untergebracht werden müsste, doch es wurde noch ein Zimmer frei. Mein Bettnachbar war ebenfalls Typ 1 Patient, aber schon seit seinem 9. Lebensjahr. Er ist 3 Jahre jünger als ich, und wegen einer schweren Unterzuckerung eingeliefert worden. Zur Zeit wurde er auf ein neues Basalinsulin umgestellt. Von ihm bekam ich im Laufe der Woche sehr viele Tipps zu meiner Krankheit, und er hat mich auch sehr stark aufgebaut – wir sind gute Freunde geworden. Ob es Glück oder gewollt war, dass wir zusammen in einem Zimmer untergebracht waren, weiß ich nicht. Auf der Station war nämlich außer uns nur ein weiterer Typ 1 Patient untergebracht, ansonsten waren es nur Typ 2 Patienten (auch Altersdiabetes genannt).

Diagnose Diabetes. Eine Krankheit, die mich nun mein Leben lang begleiten wird. Mit diesem Blog will ich einerseits mir selbst helfen, Erfahrungen sammeln und diese mit anderen Typ 1 Patienten (auch zukünftigen, die es noch nicht wissen und dann in dergleichen Situation sein werden) teilen. Ich will das Wissen über diese Krankheit verbreiten, denn schon angefangen bei meiner Familie galt es, den Irrtum, dass ich ja nun keinen Zucker mehr essen dürfe, aus den Köpfen auszutreiben.

Kommentare, Tipps etc. sind hier jederzeit willkommen.