Na gut, man könnte auch interpretieren, dass mich meine Sehhilfe per Definition schon zum Cyborg macht, aber ein Sensor, der permanent meinen Blutzucker misst sowie Verlaufskurven und Trends anzeigt, das ist noch mal eine ganz andere Liga. Sogesehen: Ja, ich bin ein Cyborg.
Der erste Sensor ist nun seit wenigen Tagen „verbraucht“, denn nach zwei Wochen (um ganz genau zu sein: 13 Tage und 23 Stunden, da in der ersten Stunde noch kalibriert wird) stellt er seinen Dienst ein. Leider lässt er sich auch nicht mehr rückwirkend auslesen, so dass man unter Umständen noch mehr Messzeit einbüßen kann.
Ich bin trotzdem ganz hin und weg ob der nun endlich mal spruchreifen Möglichkeit, einen lückenlosen Verlauf des Blutzuckers (Gewebezuckers) zu bezahlbaren Preisen zu bekommen. Zwei Wochen Sensor tragen heißt auch: zwei Wochen zumindest teilweise Urlaub vom Diabetes-Alltag. Ja, das fühlt sich wirklich so an!
Das Starterkit besteht aus dem Lesegerät und zwei beigelegten Sensoren. Falls ihr noch auf der Warteliste bei Abbott stehen solltet: Ihr könnt auch nur dieses Paket bestellen, bloß einen Sensor auszuwählen geht nicht. Abbott benachrichtigt euch rechtzeitig, denn das Bestellfenster ist nur eine Woche lang für euch geöffnet.
Das Mensch-Maschine-Interface (Das Lesegerät)
Vom Design her ist es ganz klar der Zwilling des Freestyle Insulinx, welches ich ganz furchbar finde. Das Gerät klapperte, fühlte sich billig an, und hatte ein fürchterliches Display. Wenn man als unter-30-Jähriger (woohoo, noch darf ich mich ja so nennen!) im Jahr 2015 tagtäglich mit solchen Messgeräten umgehen muss, ist die User Experience und das Design einfach ein wichtiger Bestandteil des Gesamtpaketes. Nur wenige Hersteller von Blutzuckermessgeräten scheinen das bisher auf ihrer Agenda stehen zu haben, leider. Nichtsdestotrotz, das Lesegerät selbst ist spürbar hochwertiger als das vergleichbare Freestyle Insulinx.
Und es reagiert einigermaßen flott, zumindest wenn man schnell mal messen möchte. Knopf drücken, scannen, fertig. Die Menüs an sich sind ebenfalls ganz ok gestaffelt. Optional bietet es auch die Funktion eines Bolusrechners, den man aber nicht selbst eintragen sollte (und man muss dazu den Freischaltcode kennen – eure Diabetespraxis sollte euch da weiterhelfen können). Generell an dieser Stelle ein Lob ans Team von Abbott – gegenüber dem FreeStyle Insulinx ist das Gerät ein Weltensprung.
Die Akkulaufzeit wird mit einer Woche angegeben, und das kam bei mir auch recht genau hin. Leider ist die Batterieanzeige sehr ungenau. Wenn das Gerät leer ist, reagiert es auch schlicht nicht mehr – ohne je vorher über zu niedrigen Akkustand informiert zu haben. Glücklicherweise lässt es sich aber über einen Standard-Mikro-USB-Kabel aufladen, welches man ja mittlerweile fast überall auftreiben kann.
Der Sensor
Das war die größte Unbekannte: Wie fühlt es sich an, zwei Wochen lang mit einem Sensor herumzulaufen? Da ich noch nie zuvor etwas vergleichbares getragen habe (auch eben noch nie eine Pumpe gehabt), war ich darauf sehr gespannt. Das Setzen des Sensors mit der monströsen, stempelartigen Setzhilfe ist tatsächlich etwas ungewöhnlich. Ich habe aber nichts gespürt, der Sensor saß mit einem Mal fest am Oberarm. Und dabei blieb es auch – bis zum letzten Tag habe ich den Sensor absolut gar nicht wahrgenommen. Ja, wirklich – als würde er gar nicht existieren. Beim Duschen hat mich dann auch die ersten Tage irritiert, dass da ja nun was ist. Der Klebstoff hat sich bei Feuchtigkeit auch manchmal leicht abgelöst, klebte nach dem Trocknen aber wieder sehr fest. Mag aber auch am Wetter gelegen haben – die erste Woche war gleich die bis dato wärmste Woche des Jahres mit richtig sommerlichen Temperaturen, an denen ich auch zweimal am Tag gedusch habe. In der zweiten Woche hatte ich diesbezüglich gar keine Probleme mehr.
Meine Diabetesberaterin meinte im Vorfeld zu mir, dass in ihrer Praxis etwa 20% der Leute auf den Klebstoff allergisch reagieren. Das ist deutlich mehr, als in der Packungsbeilage notiert ist. Sie selbst ist auch Diabetikerin, und verträgt den verwendeten Klebstoff ebenfalls nicht.
Als Setzstelle würde ich den hinteren, seitlichen Oberarm empfehlen. Dann läuft man auch weniger Gefahr, sich den Sensor versehentlich abzuschlagen, falls man mal irgendwo hängen bleiben sollte (Türrahmen etc.).
Die lückenlosen Messungen, vor allem über Nacht, haben mir eine Menge Erkenntnisse gebracht. Einfach mal live zu sehen, wie unterschiedlich stark verschiedene Lebensmittel den Blutzucker anheben können – oder auch, mit welcher Verzögerung. Und wie schnell er auch abfallen kann – um dann doch plötzlich im Zielbereich zu verbleiben. Der Verlauf in der Nacht zeigte mir auch sehr schnell, dass meine Basalrate zu hoch war, und ich häufig zur Nachtmitte leicht unterzuckerte – die Werte aber zum Morgen hin immer wieder auf normales Niveau anstiegen. Die Messgenauigkeit habe ich gelegentlich mal mit meinen normalen Messgeräten verglichen. Wie erwartet, hinkt der Gewebezucker dem Blutzucker etwas hinterher – bei konstanten Werten sind die Werte aber erstaunlich genau und waren stichprobenartig bis auf 1-2 mg/dl identisch.
Eine kleine Überraschung erlebte ich beim Besuch meiner Hausarztpraxis. Dort lies ich im Gespräch beiläufig fallen, dass ich aktuell das Freestyle Libre trage (zu dem Zeitpunkt trug ich den Sensor bereits eine Woche). Die Ärztin und ihre Assistentin waren sofort neugierig, hatten sie das Gerät nämlich noch nie in Einsatz gesehen. Ich berichtete von meinen Erfahrungen damit, zeigte den Messvorgang und wurde gefragt, ob ich das auch noch zwei anderen Kollegen zeigen könnte. Damit hätte ich beim besten Willen nicht gerechnet, denn die Praxis trägt durchaus auch das Siegel „Diabetologie“ am Eingangsschild.
Auch wenn das FreeStyle Libre eine tolle Erfahrung ist – ein kleiner Wehrmutstropfen bleibt doch. Viele Krankenkassen, darunter meine, übernehmen hierfür noch nicht die Kosten. Da ändert sich hoffentlich noch was dran, denn die Vorteile sind wirklich unübersehbar, und es ist auch nicht wesentlich teurer als der Verbrauch von Teststreifen. Der Weg zum CGM ist auch nicht weit, trotzdem scheinen Welten zwischen FGM und CGM zu liegen. Was die Kosten so eklatant hochtreibt, und ob sich das im Endeffekt wirklich rechnet, das würde ich tatsächlich einmal gerne erfahren. Und nicht zuletzt steckt die Technologie des Lesegerätes bereits in jedem Smartphone. Hier ist nur zu hoffen, dass auch diese Option irgendwann aufgemacht wird. Gerade, wenn ich zu Apple blicke, die im Moment sehr auf Medizinische Forschung und vor allem die Anonymität der Userdaten Wert legt, bin ich da recht zuversichtlich.
Ach ja: etwas weniger kryptisch dürfte so manche Meldung dann auch sein, Abbott!